Eine
Kirche voller Schädel. Manche haben Löcher und Risse, einige sind
zerschmettert oder in ihnen steckt eine Mordwaffe. In einer anderen
Kirche zeigt ein Strich auf dem Altartuch in einem halben Meter Höhe
den Stand des Blutes nach dem Mord an zehntausend Tutsis. In Bergen
lagen die Leichen übereinander - heute gibt es noch Berge von Knochen
und Habseligkeiten der Ermordeten. Dazu ein verschlossener Sarg, der
eine besonders grausame Geschichte erzählt. Eine hübsche Frau war den
Tätern aufgefallen. Sie wurde massenhaft vergewaltigt, dann trieb man
ihr einen Pfahl in den Unterleib und begrub sie mit ihrem Baby bei
lebendigem Leib. |

Ehepaar Reuther mit den Planungsunterlagen für das
Kinder- und Jugend- zentrum
Foto: Susanne Sobko |
Die Kirchen sind Gedenkstätten.
Tausende Menschen hatten sich hier sicher gewähnt, bis die
Mörderbanden eingedrungen waren. Egal ob Baby oder Greis - mit
Maschinengewehren, Macheten, Keulen und Werkzeugen wurden die
Flüchtlinge niedergemeuchelt.
Andrea und Gerhard Reuther aus Ruhla können das Grauen beim Besuch der
Gedenkstätten kaum ertragen. Beiden kommen die Tränen vor Zorn,
Schmerz und Fassungslosigkeit. Ein junger Mann führt sie herum und
offenbart sich als Überlebender der Kirchen-Massaker. Er war unter
Leichen begraben und deshalb verschont geblieben. Gerhard Reuther
fragt, warum er freiwillig an diesen Ort zurückkehrt. »Wir leben von
der Vergebung. Und wir müssen erzählen, was geschah, damit es sich
nicht wiederholt«, so die Antwort.
Dieser Mann bestärkt das Pfarrer-Ehepaar im Vorhaben, den Menschen
zuhelfen. Mit der Aktion »1-2-Hilfe« soll im Nordosten Ruandas ein
Kinder- und Jugendzentrum gebaut werden. Der Verein ASSIST will damit
den jungen Menschen helfen, die unter den Spätfolgen des Gemetzels
leiden. Zum Beispiel durch Bildung, Berufsförderung und Aufklärung,
Bibliotheks- und Internetzugang, Informationen sowie Freizeitangeboten
wie Sport, Musik, Tanz und Theater.
Das Konzept wurde von den Menschen vor Ort entwickelt und die Reuthers
glauben fest an die Zukunftsfähigkeit. So haben sie bei ihrem Besuch
erlebt, wie der Verein Jugendliche befähigt, Kleidung zu schneidern
oder Seife zu sieden. Ziegenzucht, Kerzenproduktion und Honigbereitung
sind weitere Vorhaben.
Mit ihrem Wissen sollen die jungen Menschen in die Heimatregion
zurück, um es weiterzugeben und davon zu leben. »So zieht das
Engagement immer weitere Kreise«, lobt der Pfarrer. Er ist überzeugt
von der Seriosität der Partner, und seine Frau schwärmt von deren
Idealismus.
Junge Menschen wurden als Zielgruppe ausgewählt, da es seit dem
Massaker Tausende Waisen gibt. Sie leben in Kinderfamilien, die von
den ältesten Geschwistern geleitet werden. Wie im Fall von Alice, die
zwei Brüder und eine Cousine betreut. Mit fünf Jahren musste sie
zusehen, wie ihre Verwandten ermordet wurden.. Soldaten hatten sie
mehrfach vergewaltigt, bis sie mit anderen Kindern in den Sümpfen
Zuflucht fand. Sie wirkte auf die deutschen Besucher noch immer
traumatisiert und beeindruckte sie gleichzeitig mit ihrem Willen,
einen Schulabschluss zu schaffen. Bildung ist das größte Defizit in
den Kinderfamilien, denn sie haben meist kein festes Einkommen, und
der Schulbesuch kostet Geld.
Über die Jugendlichen hinaus soll das Projekt auf alle Bewohner der
Region positiv wirken. Schließlich geht es auch darum, Vorurteile
abzubauen, denn noch ist das rassistische Denken verbreitet. Fast
jeder Ruander ist von dem Massaker betroffen - egal ob als Opfer oder
Täter. Die Aufarbeitung ist schmerzlich und dauert Jahrzehnte.
Die Spenden sind nur als Anschubfinanzierung für das Projekt geplant.
Später soll es sich durch Nutzungsgebühren und Mieten sowie
Einnahmeneiner Gaststätte selbst tragen. Optimistisch stimmt den
Ruhlaer Pfarrer der Wille zur Vergebung trotz der schrecklichen
Vergangenheit. Sein Appell: »Diese Menschen brauchen uns, damit sie
uns eines Tages nicht mehr brauchen.«
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Einstige Monarchie
Ruanda war eine Monarchie, die sich auf den Adel der Tutsi stützte,
während die einfache Bevölkerung aus Hutu bestand. Nach der
Unabhängigkeit von den belgischen Kolonialisten begann die
Diskriminierung der Tutsis durch die Hutus, die im Massaker von 1994
gipfelte, bei dem etwa eine Million Menschen zu Tode kam. Gerhard
Reuther glaubt, dass der Konflikt von den Belgiern und den Franzosen
geschürt wurde. Die anfängliche Tatenlosigkeit der Weltgemeinschaft
sieht er darin begründet, dass es in dem Land keine Bodenschätze oder
sonstige Reichtümer zu holen gibt. |
Das Projekt
Der ruandische Verein ASSIST will ein Kinder- und Jugendzentrum in der
Stadt Nyagatare bauen. Der Ökumenische 1-Welt-Kreis aus dem
Erbstromtal unter Leitung des Pfarrers Gerhard Reuther hat das Projekt
»1-2-Hilfe« gestartet, um die Kosten von 440 000 Euro mit zu decken.
Prominente Mitstreiter sind der frühere Ministerpräsident Bernhard
Vogel sowie der CDU-Landtagsabgeordnete Gustav Bergemann. Mit den
ersten Spenden wird bereits eine Bibliothek gebaut. Das Spendengeld
läuft zu 100 Prozent in das Projekt, da keine Verwaltungskosten
entstehen. Außerdem werden Patenschaften für ruandische Kinder
vermittelt. Kontakt: Ev. Pfarramt Ruhla,
Telefon (036929)62137 |